Über diese Steine sind meine Eltern auf ihrem Weg zum Bahnhof Köln-Deutz gegangen

Walter und Ernst, Weggefährten auf meiner Reise

Es ist die Stadt Köln, wo meine Eltern und ich die letzten paar Monate im Leben als Familie zu dritt verbracht haben.

Walter Volmer ist der pensionierte Kripochef der Stadt Köln. Und Ernst Sievers lebt in der Heimat-Basis der ‚Afrikamissionare /Weisse Väter‘ in Köln, wo er Klausurtagungen leitet und geistlicher Begleiter ist nach vielen Jahren des Dienstes in Afrika.

Seine Aufgabe bei der Kriminalpolizei sah Walter in der Berufung, die Bürger seiner geliebten Heimatstadt zu schützen; und er war niedergeschmettert, als er unter geheimen Dokumenten unwiderlegbare Beweise dafür fand, dass die Kriminalpolizei in Köln im September 1939 offiziell mit der Gestapo zusammengeschlossen wurde, so wie das bereits in anderen deutschen Städten geschehen war.

Was konnte er tun?

In seinem Ruhestand setzte er die Suche nach der Wahrheit über das, was in Köln passiert war, fort und begann mit Stadtführungen zu Orten ehemaligen jüdischen Lebens.

Also, wie kann ich nun einen Kripochef und einen Priester als Weggefährten auf meiner Reise der Versöhnung beschreiben?

Eine Gruppe der ‚Afrikamissionare /Weisse Väter, unter denen Ernst Sievers war, nahm an einer von Walters Touren teil. Aufmerksam hörten sie ihm zu, während er die verborgene Dunkelheit der Vergangenheit ernsthaft und mit Reue ins Licht brachte.

Freunde aus der Eifel machten George und mich mit Ernst bekannt und er schloss sich  einer Gruppe von nahen Freunden an, die mit George und mir zu meinem letzten Zuhause in Köln am Rathenauplatz und zum Hauptbahnhof kamen, wo meine Eltern und ich ein letztes Mal Abschied genommen hatten. Und sie begleiteten uns zum Verlegen der Stolpersteine für meine Tanten nach Koblenz.

Ernst, zweiter von rechts am Rathenauplatz

An diesen Orten voller bitterer Erinnerungen beteten wir gemeinsam, Deutsche und eine Jüdin in Gottes Gegenwart, schmeckten gemeinsam Seine Gnade.

Und Ernst machte uns mit Walter bekannt, der uns zum Frühstück zu sich nach Hause einlud und anschließend zu einer Tour mitnahm, die er nach sorgfältigen Nachforschungen über den Verbleib meiner Eltern nach meiner Flucht nach England vorbereitet hatte.

Wir sind meiner Mutter und meinem Vater zum Deportationszentrum nach Müngersdorf am Rande der Stadt gefolgt, wo sie festgehalten wurden.

Von dort aus nahmen wir die Straßenbahn, um ihrem langen Fußweg zu ihrem Abfahrtsort gen Osten, dem Bahnhof in Köln-Deutz, zu folgen.

Walter, ganz links, beim zweiten Besuch mit einer Gruppe in Müngersdorf

Eingebrannt in mein Gedächtnis hat sich ihre letzte Wegstrecke zum Deutzer Bahnhof.

Wir haben den Fußweg über die Rheinbrücke genommen. Beim Verlassen der Brücke spürten wir die unebenen Pflastersteine unter unseren Füßen und Walter sagte: „Über diese Steine sind deine Eltern gegangen“.

Als wir im August 2010 in der Philharmonie in Köln auf Walter warteten und uns fragten, warum er sich wohl zum Konzert verspätete, bekamen wir einen Anruf von seiner Tochter mit schockierenden Neuigkeiten. Stunden zuvor war er bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Die Titelzeile des Nachrufs im Kölner Stadt-Anzeiger, der wichtigsten lokalen Zeitung, lautete:

Walter Volmer: Ein stiller Menschenfreund

Ernst und Walter, Pilgergefährten auf der Reise zu unserer Heimat in der Ewigkeit.